Grundzüge der „Klassischen Homöopathie“

Die Behandlung von Krankheitszuständen mit Hilfe der klassischen (Einzelmittel-) Homöopathie bildet den Schwerpunkt der ärztlichen Tätigkeit in unserem Zentrum. „Allopathie“ und „Homöopathie“ sind dabei keine sich gegenseitig ausschließende Alternativen sondern können durchaus komplementär, d.h. im Einzelfall einander sinnvoll ergänzend eingesetzt werden.
Um zu erkennen, welches die geeignete Therapie ist, steht vor jeder Behandlung – insbesondere einer chronischen Krankheit – immer die sorgfältige Anamnese und Diagnostik gemäß den Qualitätsstandards der allopathischen Medizin. Erst eine klare Krankheitsdiagnose erlaubt die Entscheidung, welche Therapie zur Behandlung einer Erkrankung indiziert ist und zum erhofften Behandlungserfolg führt. Wir unterscheiden deshalb nicht zwischen einer „guten“ (natürlichen) bzw. „schlechten“ (chemischen) Medizin, sondern setzen die Behandlungsmethode ein, mit der ein klar definiertes Therapieziel zum Nutzen unserer PatientInnen am ehesten zu erreichen ist.
Mit Ihnen, dem/der PatientIn, möchten wir diese Entscheidung gemeinsam abwägen, sorgfältig zugeschnitten auf Ihre individuelle Situation – und Sie ein Stück des Weges mit ihrer Krankheit begleiten.
In dieser Broschüre stellen wir Ihnen die „klassische“ Homöopathie als eine wertvolle Heilmethode etwas näher vor und geben Ihnen einige Hinweise, was Sie bei der homöopathischen Behandlung beachten sollten.

1. Definition der „klassischen“ Homöopathie:

Die systematischen und erkenntnistheoretischen Grundlagen dieser Heilmethode gehen auf die Beobachtungen des Arztes und Chemikers Samuel Hahnemann (1755 – 1843) zu Beginn des 19. Jahrhunderts zurück und werden seitdem ständig weiterentwickelt.
Ihre derzeit  wichtigsten Kennzeichen sind:

  • Das Prinzip der Komplexität: Hierbei handelt es sich um das Verständnis von Krankheit als komplexes bio-kybernetisches Phänomen, gemäß dem das Leben jedes Menschen mit seiner einzigartigen Biographie von zahlreichen und selten wirklich erklärbaren Einflüssen bestimmt wird.
  • Das Prinzip der Homöostase: Jedes komplexe „biologische System“ entwickelt seine individuelle Strategie, um sich in seiner Umwelt zu behaupten (Überlebensstrategie) und sucht oder besitzt sein ganz eigenes dynamisches Gleichgewicht, anhand dessen es mit seiner Umwelt in Beziehung steht.
  • Das Prinzip der Reiz- bzw. Regulationsfähigkeit eines Systems: Die homöopathische Behandlung hat zum Ziel, ein durch Krankheit aus dem Gleichgewicht geratenes „biologisches System“, mittels gezielter „Informationsreize“, zur Aktivierung der Selbstheilungskräfte anzuregen und damit die individuelle Homöostase wiederherzustellen. Das setzt voraus, dass das System die Fähigkeit besitzt, auf Therapiereize adäquat zu antworten bzw. zu reagieren
  • Das Prinzip der Analogie: Die exakte Beobachtung äußerlich sichtbarer Symptome und Phänomene lässt untereinander vergleichbare Rückschlüsse auf die „Funktionsweise“ und die Reaktionsmuster eines komplexen „biologischen Systems“ in Bezug auf diverse Umwelteinflüsse zu.
  • Das Prinzip der Individualisierung: Im Mittelpunkt steht die subjektive Wahrnehmung des Kranken hinsichtlich seiner Symptome, sowie seiner Empfindungen und Erklärungsmodelle bezogen auf die Krankheit. Diese Wahrnehmung ist ausgerichtet auf die besonderen, eigenartigen und charakteristischen Krankheitszeichen und Persönlichkeitsmerkmale des Patienten und damit analog-phänomenologisch und nicht linear-kausal-analytisch.
  • Das Prinzip der Ähnlichkeit: Bei der Wahl des Arzneimittels müssen die Symptome der zu behandelnden Krankheit den bekannten Symptomen und Wirkungen einer homöopathischen Arznei möglichst ähnlich sein. Die gezielte Arzneiauswahl mit Hilfe dieser sog. Ähnlichkeitsregel geschieht unter stringenter Anwendung der methodischen Grundlagen der klassischen Homöopathie.
  • Die umfassende wissenschaftliche (botanische, zoologische, chemisch-physikalische, physiologische und sozio-kulturelle) Kenntnis über die Herkunft, Zusammensetzung, Toxikologie, Pharmakologie, Mythologie, Geschichte und traditionelle Anwendung einer (Arznei-) Substanz.
  • Der Erkenntnisgewinn über mögliche therapeutische Wirkungen einer Substanz durch standardisierte Prüfungen an Gesunden.
  • Die Anwendung der Arzneimittel in potenzierter Form.
  • Die Kontinuität und Konstanz des Wissenszuwachses auf- und ausbauend auf den in ihrer Bedeutung immer noch aktuellen Erfahrungsschatz und der Arbeitsweise der „alten Meister“.
  • Die logische Begründbarkeit und Nachvollziehbarkeit des Prozesses der individuellen Arzneimittelfindung.
  • Die exakte Dokumentation und kritische Analyse der empirisch-therapeutischen Heilwirkungen einer Substanz in der konkreten Anwendung am Patienten (Follow-up).

2. Herkunft und geschichtliche Entwicklung:

In fast allen Bereichen der belebten Natur ist ein physikalisches und biologisches Gesetz von „actio“ und „reactio“ anzutreffen, das der Homöostase, also der Erhaltung des Gleichgewichts in einem Organismus dient. Dieses Naturprinzip formulierte bereits Hipppokrates (460 – 375 v. Chr.) als „similia similibus curentur“ (Ähnliches möge durch Ähnliches behandelt werden). In der Renaissance entdeckte Paracelsus es neu. Die alten Chinesen hatten es ebenso angewandt, wie die Mayas oder die Indianer Nordamerikas. In Indien ist es bis heute Teil der ayurvedischen Tradition. Für Hahnemann war die Beachtung und Anwendung dieses uralten Prinzips die Grundlage seines Arbeitens.

2.1. Amerika und Europa
Auf den fruchtbarsten Boden fiel die Homöopathie in ihren Anfängen in den USA zu einer Zeit als die Mediziner dort den Selbstheilungskräften der Natur wenig zutrauten. Sie therapierten vorrangig mit „heroischen“ chirurgischen Eingriffen, verordneten Rosskuren mit Klistieren und setzten vor allem auf Aderlässe. Mit all dem erzielten sie jedoch nur sehr bescheidene bzw. eher fragwürdige Erfolge.
Die Homöopathie warf diese Praktiken komplett über den Haufen. Vor allem ihre erstaunlichen Heilerfolge machten den damals sehr revolutionären Denk- und Therapieansatz in den USA so populär, dass sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts an zweiundzwanzig Universitäten gelehrt und in hunderten von Krankenhäusern praktiziert wurde. In den USA war die Homöopathie bald so anerkannt, dass die Krankenversicherungen ihren Versicherten, die sich homöopathisch behandeln ließen, die Versicherungsbeiträge um 10 Prozent senkten. Aber gerade dieser Erfolg war Teil dessen, was den Niedergang der Homöopathie einleitete. Die traditionellen Ärzteverbände sahen sich einem spürbaren „Patientenschwund“ gegenüber und die Pharmaindustrie schrumpfenden Gewinnen. Sie bauten die Homöopathie zu einem gefährlichen Konkurrenten auf und erreichten mit ihren Angriffen, dass sie innerhalb kurzer Zeit als „Pseudo-Wissenschaft“ geächtet wurde. Die Universitäten strichen ihre Homöopathievorlesungen.
Eine ähnliche Entwicklung von anfangs rascher Blüte hin zu einem merklichen Bedeutungsverlust erlebte Europa, obwohl sich so berühmte Leute wie Mark Twain, Papst Pius X, Charles Dickens, Johann W. von Goethe und sogar die englische Königsfamilie homöopathisch behandeln ließen.
Zu Hilfe kamen den Gegnern der Homöopathie die wissenschaftlichen Fortschritte der allopathischen Medizin in der Mitte des 20. Jahrhunderts, die das Verständnis von Krankheit grundsätzlich änderte. An die Stelle des analog-phänomenologischen Wahrnehmens trat die linear-kausal-analytische Denkweise.
Trotz dieser „Nackenschläge“ baut die klassische (Einzelmittel-)Homöopathie das Konzept und die Lehre Hahnemanns bis heute konsequent weiter aus und hat sich in den vergangenen mehr als 200 Jahren zu einer weltweit praktizierten Therapieform entwickelt. An zahlreichen medizinischen Fakultäten werden Vorlesungen über Homöopathie angeboten.

2.2 Indien
In Indien hatte die Homöopathie, ursprünglich verbreitet durch deutsche Missionare, bereits zu Lebzeiten Hahnemanns eine ganz eigene Geschichte mit einer fast autonomen Entwicklung. Mahatma Gandhi nannte sie „die raffinierteste, preiswerteste und gewaltloseste Methode, Kranke zu behandeln“ und schlug der Regierung vor, ihre Verbreitung zu fördern. Mit Erfolg: 1973 erkannte Indien die Homöopathie als eine offizielle medizinische Therapieform an. Mehr als 150 indische Universitäten bieten heute eigene Studiengänge in Homöopathie an. Ca. 150.000 Ärzte  praktizieren sie im ganzen Land. Sie ist die preiswerteste und am leichtesten zugängliche Therapie bei gesundheitlichen Problemen und dient damit besonders der armen Bevölkerung des Landes. Der therapeutische Erfahrungsschatz vieler berühmter indischer Homöopathen und ihr tiefes Verständnis für die Arzneien ist einer der Reichtümer der gegenwärtigen Homöopathie.

2.3.  Von der „klassischen“ Homöopathie abweichende Entwicklungen
Leider entwickelten sich innerhalb der Homöopathie auch sehr divergierende und nicht immer sinnvolle Strömungen. Dahinter steht meistens die Absicht, die mühsame und zeitaufwändige Anamnese des Patienten abzukürzen und die komplizierte Arzneiauswahl durch therapeutische Algorithmen zu vereinfachen. Beispiele sind die Diagnose bezogene Anwendung sog. homöopathischer „Komplexmittel“, die Reduktion des Arzneispektrums auf die sog. „Polychreste“, (die „großen Arzneimittel“ in der Homöopathie) oder die rein symptomatische Verordnung von Arzneimitteln anhand „bewährter Indikationen“. Eine solche schematisierte Anwendung der jeweiligen Arznei mag im Einzelfall seine Wirkung entfalten. Sie verwässert und verflacht jedoch nicht nur die klassische und über viele Jahre bewährte sorgfältige Methodik der Arzneifindung. Sie führt auch zu einem nachweislichen Qualitätsverlust bei der Nachhaltigkeit des Therapieerfolges insbesondere bei den chronischen Erkrankungen.

3. Grundlagen und Methodik:

3.1. Der „Krankheitsbegriff“ in der Homöopathie
Hahnemann schöpfte seine Erkenntnisse von Leben, Natur und Menschen, sowie die Beurteilung der Ursachen und Symptome von Krankheiten und der Wirkungen von Arzneien allein aus den sinnlich wahrnehmbaren Bereichen des Menschen. Denn in seiner Zeit fehlten die heutigen wissenschaftlich-diagnostischen Möglichkeiten. Er beobachtete Symptome bzw. Phänomene. So fiel ihm z.B. auf, dass bei manchen seiner Patienten stets eine neue (nicht selten schwerere) Krankheit kam, sobald eine vorhergehende überstanden bzw. unterdrückt worden war. Aus dieser und zahlreichen anderen Beobachtungen entwickelte er einen eigenen Begriff von Krankheit und Gesundheit. Er führte die meisten Krankheiten auf den Einfluss sinnlich nicht wahrnehmbarer „Kräfte“ zurück und verband diese Ansicht mit seinem Modell der „Lebenskraft“. Er postulierte: Im Krankheitsfall ist die Lebenskraft, die die wesentlichen Funktionen des Menschen ausmacht, „krankhaft verstimmt“ und bedingt die Symptome. Hahnemann sah Krankheit als biologisches Phänomen eines von vielen Einflüssen bestimmten Lebens in Zusammenhang mit dem ganzen Menschen und seiner Biographie. Daraus entstand der homöopathische Grundsatz, sich darauf zu fokussieren, wie der Kranke ganz subjektiv seine besonderen, eigenartigen und charakteristischen Symptome sowie seine auf die Krankheit bezogenen Empfindungen wahrnimmt und sich nicht um „die Krankheit“ selbst zu kümmern.
Hier zeigt sich der zentrale Unterschied zur Allopathie: Dem Konzept der Suche nach einer morphologisch fassbaren Ursache einer Krankheit (linear-kausal-analytischer Ansatz) und ihrer Behandlung steht in der Homöopathie die genaue Beobachtung der individuellen Symptome und Phänomene sowie die daraus folgende Wahl des Arzneimittels nach der Ähnlichkeitsregel gegenüber (analog-phänomenologische Wahrnehmung nach dem Prinzip der Komplexität). Dabei können Symptome, die in der Allopathie für die Krankheitsursache und Therapie irrelevant erscheinen, in der Homöopathie für die Wahl eines Arzneimittels eine wichtige Bedeutung haben.
Daran wird auch nochmals die Komplementarität beider Heilmethoden deutlich: Die Homöopathie bietet eine Unterstützung zur Selbstheilung des Organismus anhand eines gezielten Reizes durch die homöopathische Arznei (sog. Reiz- oder Regulationstherapie). Sie setzt voraus, dass die „individuelle Lebenskraft“ noch stark genug ist, um eine Selbstheilung zu ermöglichen und keine ausgeprägten Heilhindernisse vorliegen. In der Allopathie werden dagegen Diagnosen, morphologisch fassbare Befunde und Symptome je nach Schweregrad einer Erkrankung unabhängig von der „individuellen Lebenskraft“ nach dem Dosis-Wirkungs-Prinzip gemäß ihrer klinischen Indikation behandelt, oder, falls medizinisch erforderlich, auch medikamentös unterdrückt.
Verantwortungsvolles ärztliches Handeln bedeutet also, die Grenzen dieser beiden komplementären Heilmethoden im Einzelfall zu erkennen und die Therapieentscheidung entsprechend der individuellen Situation des Kranken abzuwägen.

3.2. Die Arzneimittelprüfung
Als Arzneien kommen in der Homöopathie u.a. in Frage: Pflanzen, tierische Ausscheidungsprodukte (z.B. Schlangengift), Krankheitserreger (z.B. Tuberkuloseerreger), mineralische Substanzen (z.B. Quarz) und jede andere Form chemischer Verbindungen (z.B. Arsen-, Gold-, Quecksilbersalze etc.).
Um festzustellen, welche Beschwerden und Symptome ein Arzneimittel erzeugen und damit auf Grund der Ähnlichkeitsregel auch heilen kann, werden die homöopathischen Arzneimittel an gesunden Menschen (Probanden) unter standardisierten Beobachtungsbedingungen von mehreren erfahrenen homöopathischen Ärzten geprüft.
Die Probanden unterziehen sich vor der Prüfung einer ausführlichen (Konstitutions-) Anamnese nach den Kriterien der klassischen Homöopathie. Hier wird ihr zum Prüfungszeitpunkt bestehender Gesundheitszustand vom zuständigen Prüfarzt exakt erfasst und protokolliert. Nur Probanden, die aus der Sicht der klassischen Homöopathie als gesund gelten, werden dann zur (Substanz-) Prüfung zugelassen.
Als Prüfstandard gilt heute die sog. „doppelblinde“ Arzneimittelprüfung.  Dabei kennen weder Proband noch Prüfer die zu prüfende Substanz, noch wissen sie, ob es sich bei der Gabe um ein „Verum“ oder ein sog. „Placebo“ (Scheinmedikament) handelt.
Die zu prüfende Substanz wird in potenzierter Form (i.d.R. Potenzstufe C 30) den Probanden solange regelmäßig verabreicht, bis sie erste Befindensänderungen oder Symptome spüren. Aufgabe der Prüfer ist es, die vom Probanden exakt dokumentierten Symptome durch engmaschige Verlaufsanamnesen (Follow-up) über einen Zeitraum von 3-6 Monaten hinweg akribisch zu protokollieren. Durch das Zusammentragen der Symptome aller Probanden und der anschließenden „Entblindung“ (Bekanntgabe, welcher Proband ein „Verum“ und welcher ein „Placebo“ erhielt) lassen sich die möglichen arzneilichen Wirkungen einer Substanz relativ zuverlässig herausfiltern und zu sog. „Arzneimittelbildern“ zusammentragen.
Jede Substanz, die in einer solchen Arzneimittelprüfung beim Gesunden eine Änderung des Befindens hervorrufen kann, kann auch ein potenzielles Arzneimittel sein. Ihren therapeutischen Stellenwert bekommt eine Substanz allerdings erst durch ihre erfolgreiche Anwendung im konkreten Krankheitsfall.

3.3. Die Arzneimittelbilder
Zusammen mit den erwähnten komplexen wissenschaftlichen Kenntnissen über die Herkunft, Zusammensetzung, Toxikologie, Pharmakologie, Mythologie, Geschichte und traditionellen Anwendung einer (Arznei-) Substanz, sowie den klinischen Beobachtungen ihrer therapeutischen Wirkung am Kranken, wurden und werden die Ergebnisse der Arzneiprüfungen systematisch geordnet, überprüft und dann publiziert.
Durch diese Art des Wissenszuwachses in der Arzneimittelkenntnis sind in der Homöopathie mittlerweile mehr als 6000 verschiedene Arzneimittel ganz unterschiedlicher Herkunft  bekannt. Es existiert inzwischen eine umfangreiche „Datenbank“ über die Wirkungen aller in der Homöopathie verwendeten Arzneimittel, die sog. „Materia medica“ (Sammlung der Arzneimittelbilder).

3.4. Homöopathie im „Informationszeitalter“
Aktuell nutzt die Homöopathie die zahlreichen Möglichkeiten des Informationszeitalters. Sie nimmt

  • die wissenschaftlichen Kenntnisse über die (Arznei-)Substanzen,
  • die beobachtbaren Wirkungen in der Prüfung an Gesunden,
  • die sorgfältig dokumentierten Therapieeffekte an Patienten und
  • die empirischen Erfahrungen der sog. „alten Meister“

und sucht die Fülle dieses Wissens über die einzelnen Arzneien mit übergeordneten Konzepten neu zu strukturieren und zu vernetzen. Dies eröffnet ein wesentlich tieferes Verständnis für die Arzneien und ihre therapeutischen Wirkungen. Therapeuten haben dadurch die Möglichkeit, die „Materia medica“ in Familien mit gemeinsamen Charakteristika zusammenzufassen und bislang unverständlich erscheinende Informationen in ein sinnvolles Beziehungsgefüge zueinander zu stellen.

3.5. Ähnlichkeitsregel, Potenzierung, Wirkmodell
Die sog. Ähnlichkeitsregel in der Homöopathie besagt, dass bei der Wahl des Arzneimittels die Symptome der zu behandelnden Krankheit den bekannten Symptomen und Wirkungen einer homöopathischen Arznei möglichst ähnlich sein müssen. Dazu erfasst, strukturiert und hierarchisiert der homöopathisch arbeitende Arzt die Gesamtheit der Symptome eines Krankheitsfalles und sucht dann in der „Materia medica“ nach dem Arzneimittel, das diesem entstandenen „Bild“ von der Symptomatik des Patienten am meisten entspricht.

Auf der Suche nach der optimalen Dosis eines Arzneimittels experimentierte Hahnemann mit sehr kleinen Substanzmengen. Als erfahrener Chemiker wusste er um die Toxizität verschiedener Substanzen. So entwickelte er das Potenzieren, ein besonderes Herstellungsverfahren, bei dem die Arzneimittel schrittweise verdünnt und geschüttelt oder verrieben werden und ihre direkte schädigende Wirkung auf einzelne oder mehrere Organe verlieren. Überraschend war für Hahnemann die Beobachtung, dass die nach seiner Methode potenzierten Arzneien zwar ihre direkte Organtoxizität verlieren, ihre medizinisch gewünschte Wirkung sich jedoch tief und anhaltend manifestierte.
Bis heute kann nicht naturwissenschaftlich exakt nachgewiesen werden, wie die homöopathische Arznei ihre Wirkung entfaltet. Es gibt zahlreiche Hypothesen über einen möglichen Wirkmechanismus. Die Interessanteste ist die Beobachtung, dass es in biologischen Systemen einen nicht an Materie gebundenen „Informationsaustausch“ mittels elektromagnetischer Kopplungsphänomene gibt. Jüngere Experimente belegen, dass Wasser durch die Einwirkung elektromagnetischer Felder physikalisch-chemische Eigenschaften annimmt, die sich dann auf andere biologische Systeme übertragen lassen. Da uns keine ausreichend sensiblen Messgeräte zum Erfassen dieser feinen elektromagnetischen Schwingungen zur Verfügung stehen, ist dieser „Informationsaustausch“ nicht direkt quantifizierbar, sondern nur an seinen Auswirkungen auf das System zu erkennen. Zahlreiche Naturwissenschaftler postulieren sogar, dass es sich hierbei um die wesentliche Quelle von Informationsübertragung lebender Systeme handelt. Diese Hypothese liefert eine durchaus schlüssige Erklärung für die therapeutische Wirkungsweise homöopathischer Arzneien als eine Art Reiz- oder Regulationstherapie.
Weiterhin unklar bleibt immer noch die Frage, in welcher Potenz und in welcher Form (Einmalgabe oder tägliche Einnahme) die homöopathische Arznei verabreicht werden soll. Nach heutigem Stand des Wissens in der Homöopathie ist sie jedoch eher von sekundärer Bedeutung. Die Wahl des richtigen Arzneimittels bleibt für den therapeutischen Erfolg der mit weitem Abstand wichtigste Parameter.

 

3.6. Die klassische Homöopathie im Praxisalltag
In der täglichen Praxis hat die klassische Homöopathie den „Nachteil“, dass sie einen beträchtlichen (Zeit-)Aufwand erfordert. Je länger eine Krankheit dauert und je tiefer man einen Heilungsprozess mit einer homöopathischen Arznei unterstützen möchte, desto präziser muss die Wahl des individuellen Arzneimittels erfolgen und desto höher ist der zeitliche Aufwand, um zum gewünschten Therapieziel zu gelangen. Eine ausführliche Erstanamnese mit einer anschließenden gründlichen „Fallanalyse“ durch den homöopathisch arbeitenden Arzt stehen am Anfang der Behandlung.
Oft verlangt der Einzelfall ein umfangreiches Literaturstudium, um die Möglichkeiten der Homöopathie wirklich ausschöpfen zu können. Darüber hinaus braucht der homöopathisch arbeitende Arzt für die erfolgreiche Anwendung der Heilmethode umfangreiches therapeutisches Wissen und viel Erfahrung. „Macht´s nach, aber macht´s genau nach“, forderte Hahnemann seine Schüler auf. Das gilt immer noch.
Im therapeutischen Alltag gibt es jedoch nicht selten auch Situationen, in denen die Wahl des wirksamen Mittels einen geringeren Aufwand erfordert. So ist es z.B. bei den meisten „Akutkrankheiten“ (Fieber, Erkältung, Gastroenteritis etc.), die besonders hervorstechende Symptome zeigen, gut möglich, auf so genanntem „kurzen Weg“ ein passendes Arzneimittel zu finden.

3.7. Unser Fazit
Damit unsere Erfahrungen und therapeutischen Entscheidungen eine fundierte Grundlage erhalten, verlangt die Arbeit mit der Homöopathie vom Therapeuten einen ständigen Lern- und Entwicklungsprozess. Dem versuchen wir durch regelmäßige Fortbildungen, Arbeitskreise u.a., Rechnung zu tragen. Es ist für uns selbstverständlich, dass wir unsere Arbeit im kollegialen Fachaustausch und durch regelmäßige Supervisionen immer wieder kritisch hinterfragen müssen, um diese Heilmethode erfolgreich anwenden zu können. Unser Anspruch ist, jede(n) PatientIn zu seinem Wohle qualitativ hochwertig und erfolgreich homöopathisch zu behandeln.

4. Was sollten Sie als PatientIn beachten?

Die ausführliche homöopathische Erstanamnese zur Wahl des sog. „Konstitutionsmittels“ für die Behandlung einer chronischen Erkrankung setzt ein sehr hohes Maß an Offenheit bezüglich Ihres körperlichen und seelischen Befindens sowie an Vertrauen in die Person des Therapeuten voraus. Deshalb sollten Sie sich in einem vorausgehenden Informationsgespräch klar werden, ob Sie zu Ihrem Arzt die für Sie notwendige Vertrauensbasis aufbauen können. Dass Ihr behandelnder Arzt diesbezüglich einer besonders strengen Schweigepflicht unterliegt, versteht sich von selbst.
Die homöopathische Arznei sollte zeitlich unabhängig von Mahlzeiten eingenommen werden. Bitte vermeiden Sie die gleichzeitige Anwendung ätherischer Öle (wie z.B. Eukalyptus, Menthol oder Kampfer). Auch sollten Sie wegen möglicher Wechselwirkungen parallel keine anderen homöopathischen bzw. homöopathisch zubereiteten Arzneimittel einnehmen.
Eine notwendige allopathische Behandlung (z.B. bei chron. Asthma, Rheuma, etc.) sollte gerade zu Beginn der homöopathischen Behandlung unverändert fortgesetzt werden. Dosisanpassungen (insbes. Dosisreduktion allopathischer Arzneimittel) sollten nur nach vorheriger Rücksprache mit Ihrem behandelnden Arzt durchgeführt werden.
Häufig postulierte weitere Einschränkungen der bisherigen Lebens- und Ernährungsgewohnheiten haben unserer Erfahrung nach keinen oder nur marginalen Einfluss auf den homöopathischen Therapieerfolg. Denn der mit Abstand wichtigste Parameter für eine erfolgreiche homöopathische Behandlung ist die Wahl des richtigen Arzneimittels.
Auch die Homöopathie ist keineswegs frei von Nebenwirkungen. Zu Beginn einer Behandlung kommt es nicht selten zu „Erstverschlimmerungen“, die meist milder als die ursprüngliche Krankheitssymptomatik verlaufen. Nebenwirkungen können auch durch ein falsch gewähltes Arzneimittel oder eine zu häufige Mitteleinnahme auftreten. Letzteres ist vor allem bei einer allzu sorglosen Selbstmedikation zu beobachten.
Bei allen Unklarheiten im Behandlungsverlauf und Nebenwirkungen sollten Sie Ihren behandelnden Arzt konsultieren.